Zum Chovd Gol und Har Us Nuur
Der Tag führte uns zunächst durch staubige Steppe. Um nicht wieder durch die
Findlinge stolpern zu müssen, folgten wir einem Fahrweg. Dabei kamen wir an ein paar
Jurten vorbei, an denen gerade eine Ziege frisch geschlachtet worden war. Tom dachte wohl
es gäbe etwas umsonst aber der alte Mann, dem die Ziege gehörte, vertrieb ihn, indem er
mit faustgroßen Steinen warf. Dabei nahm er auch keine Rücksicht auf uns, ein großer
Stein verfehlte mich nur knapp. Das war offensichtlich einem Mißverständnis geschultet,
mit dem wir öfter konfrontiert wurden: man hielt uns für Russen. Wir ritten einfach
weiter, zu unseren Freunden vom Hinweg. Unterweg schloß sich uns eine sehr festlich
gekleidete Frau an. Es stellte sich heraus, daß sie von unserem Gastgeber eingeladen
worden war- zum Fototermin. Wir tranken Milchtee, bekamen ein leckere Mahlzeit zubereitet
und machten im Gegenzug Fotos von allen Anwesenden. Nachdem wir die Adresse notiert hatte,
stiegen wir mit prallen Bäuchen auf die Pferde und ritten weiter. Der Himmel hatte sich
unterdessen bedeckt und es begann zu nieseln. Da unseren vollen Mägen das Geschuckel
überhaupt nicht bekam, beschlossen wir bereits nach einer Stunde, die Zelte
aufzuschlagen. Wir fanden ein grünes Fleckchen am Fluß, mitten im Pappelhain. Dort
verbrachten wir den Nachmittag auf dem Rücken liegend, uns ganz der Verdauung der letzten
Mahlzeit widmend.
Am nächsten Morgen ritten wir noch vor dem Frühstück auf ungesattelten Pferden hinaus
in die Wüste. Der Grund war eine phantastische Änderung der Landschaft: Die Berge im
Hintergrund waren über Nacht zugeschneit, und alles wirkte dadurch viel plastischer.
Graue Erhebungen, die vorher in der eintönigen Farbe untergegangen waren, hoben sich
jetzt von der Umgebung ab und über allem breitete sich ein strahlend blauer Himmel aus.
Wir packten zusammen und ritten schräg über die Wüste, hinab zu einer grünen Linie,
die das Feuchtgebiet des Chovd- Gol markierte. Unterwegs kamen wir an einem
Bewässerungsgraben und alten, seit Jahren nicht mehr bestellten Feldern vorbei. Und
obwohl sonst die Vegetation schon spärlich war, konnte man einen deutlichen Unterschied
feststellen: hier wuchs einfach gar nichts, nicht ein Mauseloch war in dem betonharten
Boden zu sehen. Dieser war ausgelaugt und tot. Wir passierten diese Gebiet und kamen in
den Stauchgürtel des Flußes. Der Chovdgol ist in diesem Gebiet weit verzweigt, viele
kleine Arme schlängeln sich durch die Ebene, die mit Weiden und Sträuchern bewachsen
ist. Einzelne Arme sind sumpfig, was ein durchqueren schwierig oder unmöglich macht,
andere sind kristallklar mit steinigen Untergrund. Zwischendrin sind große Wiesen,
bewachsen mit einem rot blühenden Gras, ein Indikator für die hohe Feuchtigkeit des
Bodens. An vielen Stellen wuchsen Lilien, deren Blüten (es blühten nur noch einzelne)
fast ohne Stiel zwischen den Blättern saßen. Es gibt Komorane, Lamaenten, Grau- und
Silberreiher, Schwarzstörche, Wiedehopfe und viele kleine Vögel. Unterdessen waren zehn
Tage vergangen, seit wir den Fluß weiter unten verlassen hatten, und der Wasserspiegel
hatte in dieser Zeit um fast einen Meter abgenommen. Die Jurten hatten sich im grünen
Gürtel gesammelt, und die Tiere bekamen fettes grünes Gras und Schilf zu fressen. Die
Mongolen gingen einer wichtigen Herbstbeschäftigung nach, dem Filzen. Trotz der relativen
Trockenheit kamen wir öfters an morastige Stellen denen wir ausweichen mußten. Am
späten Nachmittag erreichten wir eine Furt, die es zu durchqueren galt. Als wir bei einem
Testdurchritt aber feststellten, daß das Wasser so tief war, daß wir die Rucksäcke
hätten abpacken müssen, beschlossen wir, auf dieser Seite des Flußes zu übernachten
und am Morgen die Packpferde erst am anderen Ufer zu bepacken. Frank und Heike ritten noch
ein wenig durch die Gegend und wir blieben bei den Zelten, natürlich nicht lange allein.
Mongolen schauten vorbei, und irgendwann kam einer, der erzählte uns von Helmut Kohl, der
SPD... Es stellte sich heraus, daß er selber Mitglied einer sozialdem. Partei in der
Mongolei war. Er half uns beim Reparieren einer Fußfessel und lud uns für den nächsten
Tag ein: Wir sollten über den kleinen Fluß und dann immer gerade aus bis zum nächsten
Fluß, dort stände seine Jurte.
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Tags darauf beluden wir die Packtiere zunächst mit den Tagesrucksäcken und schwangen uns
selbst mit großem Rucksack aufs Pferd. Auf der anderen Seite packten wir dann wieder um
und ritten "geradeaus" zum nächsten Fluß. Nur was ist gerade aus: dem Weg zu
folgen, der sich doch mächtig schlängelte, oder quer durch`s Gebüsch. Wir entschieden
uns für den Weg und trafen nie bei unserem Gastgeber ein. So machten wir Mittag unter
einer uralten Weide, schlürften ein Süppchen und erfreuten uns an der Landschaft die wir
durchritten. Da wir auf dem Rückweg wesentlich schneller vorankamen als geplant, legten
wir noch einen Ruhetag ein. Wir ritten über ein kleines Flüßchen auf eine Insel und
fanden dort eine große grüne Lichtung. Es dauerte auch wieder nicht lange, bis wir
Gäste hatten- ein junges Pärchen. Das Mädchen hatte ein mongolisch- englisches
Wörterbuch und sagte zu uns: "horrible pig". Wir nahmen das nicht persönlich
da wir wußten, daß Mongolen kein Hausschwein essen und wurden für den Abend eingeladen.
Das Interessante an diesem Abend war das Melken der Stuten. Eigentlich lassen die Stuten
nur ihre Fohlen trinken, bei allen anderen die sich ihrem Euter nähern reagieren sie mit
Hufschlägen. Also wird ein wenig getrickst: Zuerst läßt man das Fohlen trinken. Damit
es nicht schon tagsüber alles trinkt, werden die Kleinen übrigens nahe der Jurte
angebunden und so von den Muttertieren getrennt. Wenn es einige Schlucke getrunken hat
wird es weggezogen, und an den Körper des Muttertieres gedrückt. Jetzt kann gemolken
werden, und die Stute hat die Illusion, daß das Fohlen trinkt. Den Ruhetag verbrachten
wir mit Ausflügen in der Umgebung. Susi und ich entdeckten einen tieferen Flußarm, in
dem man gut schwimmen konnte. Am Abend gallopierten wir noch ohne Sattel. Susi hat das
Problem, daß ihr Pferd immer nach links abbiegt. Ich wollte ihr zeigen, daß es auch
gerade aus ging. An einem Strauch trennten sich dann Pferd und Reiter: das Tier wollte
links (!) und ich rechts daran vorbei. Es passierte aber nichts schlimmes.
So ging es dann weiter, zurück Richtung See. Es ging wie gesagt sehr schnell vorwärts
und um nicht zu zeitig am See anzukommen, legten wir noch einen Rasttag ein, in einer
Felsgruppe, die wir schon vom Hinweg kannten. Heike kochte aus Trockenfleisch, das wir in
einer Jurte geschenkt bekommen hatten, eine leckere Suppe. Wir kletterten durch die Felsen
und erkundeten zu Pferd die riesigen Sanddünen, die der Wind über die Jahre angeweht
hatte.
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Drei Tage später erreichten wir den See und waren überrascht: dort wo vor drei Wochen
noch die Jurte gestanden hatte war jetzt nichts außer Sand. Natürlich dachten wir, daß
wir nicht die richtige Stelle erwischt hatten, doch nach längerem Umschauen wurden wir
uns immer sicherer. Heike und Frank mußten in zwei Tagen fliegen. Nach einer Weile kam
eine Nachbarin vorbei und erzählte uns, daß unsere Gastgeber am Morgen dagewesen sein.
Aufgrund von Futtermangel hatten sie einen neuen Platz für ihr Vieh gesucht. Da an der
Jurte, die noch dastand auch ein kleiner Transporter parkte und der Fahrer noch an diesen
Tag nach Chovd wollte, fuhren Heike und Frank dort mit, während wir die Pferde abgeben
wollten. Uns war nicht ganz klar, wie wir es machen sollten, denn die Wegbeschreibung zu
unseren Gastgebern war wieder mal sehr zweifelhaft. Wir waren nun allein und am nächsten
Morgen sattelten wir die Pferde um zu versuchen, Sie ihren Besitzern zurückzubringen.
Falls wir niemanden fänden, so dachten wir, könnten wir nach Chovd reiten und die Pferde
dort lassen. Aber als wir gerade los wollten kam die Nachbarin und erklärte uns, wir
sollten warten, die Pferde würden abgeholt. So verbrachten wir den Tag mit einem Ausritt,
die Ebene hinauf, so daß wir einen herrlichen Blick über den See hatten. Gegen Abend kam
dann ein Motorrad mit drei Personen, unser Gastgeber aus Chovd, der Pferdebesitzer und
einer seiner Söhne. Wir unterhielten uns, zeigten die Pferde und Sättel vor und als
alles geklärt war, wurde in der Jurte Abendbrot gegessen. Nun hatten wir uns gedacht,
daß wir zwei Pferde noch etwas länger behalten könnten, aber da der Pferdebesitzer
umgezogen war, ging das leider nicht. Fünf Pferde wurden mit den Halteleinen
aneinandergebunden, der Reiter setzte sich auf das sechste und los gings. Tom, unser Hund,
lief hinterher, ohne uns noch eines Blickes zu würdigen. So saßen wir nun am See fest,
der Mann mit dem Kleintransporter kehrte erst in zwei Tagen zurück. Die beiden Tage
verbrachten wir vor allem mit rumliegen, meist im Zelt, um vor der brennenden Sonne
geschützt zu sein. Rings um das Zelt war immer reges Treiben, es gab unzählige
Wüstenspringmäuse, die mit Wintervorratsbeschaffung beschäftigt waren. Ringsherum flog
Sand durch die Luft, wenn die kleinen Nager ihre Höhlen sanierten und teilweise fanden
auch Boxkämpfe statt. Bei einem Spaziergang, den wir unternahmen um etwas abseits baden
zu können, begegneten wir Mongolen, die gerade mit ihrem japanischen Gast eine Spritztour
unternahmen. Sie luden uns ein, ein Stück mit ihrem Jeep mitzufahren und am Picknick
teilzunehmen. Es gab das erste mal seit Wochen frische Tomaten, gekochte Kartoffeln und
Ananassaft aus Rumänien. Ein jüngerer Mongole arbeitete in Chovd auf dem Flughafen, er
half uns später dann beim Rückflug auch bei den nötigen Formalitäten. Am dritten Tag
ging es früh um 6.00 Uhr los nach Chovd. Der Transporter war mit getrockneten Kuhfladen
beladen, die in der Stadt als Brennmaterial verkauft werden sollten. Wir erreichten die
Stadt bei Sonnenaufgang, durch das rote Licht auf den rotfarbenen Granitfelsen war es ein
herrliches Naturschauspiel. Der Urlaub war für uns prinzipiell beendet und die restliche
Zeit versuchten wir mit Spaziergängen zum Flughafen und zum Fluß herumzubringen.
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Am Sonnabend früh liefen wir mit Sack und Pack zum Flughafen. Dort wurde Susi nochmal
geschockt. Sie hat ein wenig Flugangst, und als wir zum Flugzeug geführt wurden und
einsteigen sollten, wurden ihre Augen riesengroß: wir blickten in den Rumpf einer
Transportmaschine. An den Seitenwänden waren Bänke heruntergeklappt auf denen man sitzen
konnten. Diese waren aber schon gerammelt voll, so daß nur noch das Gepäck
Sitzmöglichkeiten bot. Zum Glück waren auch ein paar Jäger aus Österreich mit ihrem
Dolmetscher an Bord, diese beschwerten sich und so konnten wir dann doch in einer
Passagiermaschine mitfliegen, die etwas später gelandet war. Da das Flugzeug (AN 24) in
nur etwa 4000 m Höhe flog, bot sich auf dem Rückflug ein faszinierender Blick auf die
verschiedenen Landschaftsformen, von Sanddünen der Gobi über die Gebirgsketten des
Changai bis zu den Steppen um Ulaan Baatar. In der Hauptstadt hatten wir dann noch zwei
Tage Zeit, in denen wir uns erholten und noch kleinere Ausflüge in die Umgebung und zu
Sehenswürdigkeiten wie dem Gandan- Kloster unternahmen. Am 26. 09. 1995 flogen wir von U.
B. zurück nach Deutschland.
Nachwort
Unterdessen waren wir noch drei mal in der Mongolei, jedes mal wieder bei unseren Freunden in Chovd. Schwierigkeiten mit der Visa- Beschaffung gehören zum Glück der Vergangenheit an, so ist man auch nicht mehr auf Julchiin angewiesen. Bei jedem unserer Besuche in Chovd erkundeten wir neue Gebiete, drangen weiter in den Altai vor und reisten zu anderen Jahreszeiten. Aber auch bekannte Orte, wie zum Beispiel den Chovd Gol, besuchten wir gerne wieder. Manche der Nomaden haben wir auch bei unseren späteren Reisen wiedergetroffen und sind immer als Freunde aufgenommen worden. Wir haben immer versucht, sowenig wie möglich negativen Einfluß auf die einheimische Kultur und die Traditionen zu nehmen und uns weitestgehend einzuordnen. Und sicher ist auch, daß ich nicht das letzte mal dort war.